Bedrohte Nutztierrassen in Deutschland
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Stand: 02/27/2019 | ||
Der Wert alter Nutztierrassen Die über 10.000 Jahre durch Selektion entstandenen Rassen sind zumeist an bestimmte Standortbedingungen und Witterungsverhältnisse angepasst und sind eine lebende tiergenetische Ressource für Robustheit und Anspruchslosigkeit. Gerade dies kann bei den zunehmenden klimatischen Veränderungen immer wichtiger werden. Weidetiere müssen mit Hitze oder Kälte zurechtkommen und auch bei der Futterauswahl genügsam sein. Darüber hinaus können die alten Rassen aufgrund ihres meist endemischen Ursprungs auch als Kulturgüter bezeichnet werden, wie z.B. die Heidschnucke der Lüneburger Heide oder das Braunvieh auf den Almen. Teilweise gibt es darunter sehr markante Erscheinungsbilder wie z.B. Sattelschweine und Wollschweine, Brillenschafe und vielfarbige Geflügelrassen. Rote Listen geben Alarmzeichen Rote Listen über gefährdete Tier- und Pflanzenarten gibt es schon seit 1963. Sie wurden ursprünglich von der Weltnaturschutzunion (WCU) bzw. von der multinational organisierten International Union for Conservation of Nature und Natural Resources (IUCN) eingeführt und dienen seither als gutachterliches Instrument, um den jeweiligen Gefährdungsgrad darzustellen. Aber nicht nur staatliche Einrichtungen veröffentlichen in dieser Weise ihre eigenen Erhebungen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten. Im Bereich der Nutztierzucht fungiert die oben genannte GEH als Dachorganisation und Interessenvertretung der Züchter und Halter gefährdeter Rassen. Seit 1984 publiziert sie anhand von Zuchtbüchern die bestandsbedrohten Rassen, die in die folgenden Gefährdungsgrade einteilt werden:
Die Einteilung in die jeweiligen Gefährdungsgrade erfolgt nach einer über eine Formel errechneten Gefährdungskennzahl (GKZ). Mit eingerechnet sind dabei nicht nur die absoluten Bestandzahlen einer Population, sondern auch verschiedene Risikofaktoren wie z.B. die Anzahl der Züchter und Herden sowie die räumliche Verteilung der Herden im Hinblick auf ein Seuchenrisiko. Mit der GKZ unterscheidet sich die Rote Liste der GEH von jener im Nationalen Fachprogramm der BLE, was teilweise bei einzelnen Rassen zu unterschiedlichen Gefährdungseinstufungen führen kann. Die BLE kategorisiert die vier Gefährdungsgrade nach der „effektiven Population“ (Ne), das heißt, unter Berücksichtigung des Verhältnisses von männlichen zu weiblichen Tieren. Unterschieden werden:
Die Phänotypische Erhaltungspopulation wird aus tierzuchtwissenschaftlicher Sicht nur noch als „Rudiment“ verstanden. Die Population ist verschwindend gering oder aber stark mit anderen Rassen vermischt, so dass die Ursprungsrasse nicht mehr eindeutig identifiziert werden kann. In diese Kategorie fielen 2017 fünf deutsche Nutztierrassen: das Ansbach-Triesdorfer Rind mit einer Restpopulation von sieben Bullen und 82 Kühen sowie vier Pferderassen, darunter die Kaltblut-Rasse Pfalz-Ardenner mit nur noch drei Hengsten und 22 Stuten. Rettungsprogramme und Maßnahmen Bereits 1979 hatte die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde (DGfZ) einen „Ausschuss zur Erhaltung der genetischen Vielfalt bei landwirtschaftlichen Nutztieren gegründet“. Dieser formulierte unter Beteiligung aller fachlich relevanten Organisationen die Grundlagen und die fachlichen Anforderungen für Konzepte zur Erhaltung gefährdeter Rassen. Auf dieser Grundlage hat die BLE 2003 ein „Nationales Fachprogramm für Erhaltung und nachhaltige Nutzung tiergenetischer Ressourcen“ aufgelegt, womit die Bundesregierung ihrer internationalen Verpflichtung nachgekommen ist, die 1992 in der sogenannten Agenda 21 in Rio de Janeiro ihren Ursprung hatte. Im Nationalen Fachprogramm sind folgende vier Aufgabenschwerpunkte festgelegt: Populationsmonitoring einheimischer Nutztierrassen Verfahren und Abläufe des Monitorings wurden in Zusammenarbeit von Züchtervereinigungen und Herdbuch führenden Stellen festgelegt. Die darauf resultierende Rote Liste der BLE versteht sich als Frühwarnsystem und bildet die Grundlage zu bestandserhaltenden Fördermaßnahmen. Bildung einer „Nationalen Kryoreserve“ Kryoreserven sind tiefgefrorene bzw. in Stickstoff eingelagerte Genmaterialien wie Sperma, Embryonen, Eizellen bzw. somatische Zellen. Das Konzept sieht vor, dass möglichst bei allen heimischen gefährdeten Rassen Sperma von mindestens 25 nicht verwandten Vatertieren eingelagert wird, die möglichst auch die genetische Bandbreite der betreffenden Population abbilden. Anfangs wurden hierzu verbindliche Vereinbarungen mit Züchtervereinigungen und Besamungsorganisation getroffen. Seit 2016 gibt es im Friedrich-Löffler-Institut (FLI) in Mariensee die „Deutsche Genbank landwirtschaftlicher Nutztiere“. Der Freistaat Bayern hatte einige Jahre zuvor schon eine eigene „Staatliche Genreserve“ angelegt. Erarbeitung vorbeugender Maßnahmen für den Seuchenfall Tierseuchen wie Vogelgrippe, Schweinepest, Blauzungenkrankheit usw. können jederzeit ganz unerwartet ausbrechen. Dieses Risiko lässt sich nicht völlig ausschalten. Der Gesetzgeber sieht in Seuchenfällen schnell wirksame veterinärrechtliche Maßnahmen wie Unter-Quarantäne-Stellung bis hin zur Keulung ganzer Tierbeständen vor. Für den Seuchenfall muss die Vorgehensweise mit bedeutsamen und schützenswerten Tierbeständen oder Einzeltieren schon im Vorfeld mit den Veterinärbehörden entwickelt worden sein. Gestaltung von Erhaltungszuchtprogrammen Neben der Anlage von Genreserven liegt das Hauptziel natürlich darin, die gefährdeten Rassen durch Nutzung zu erhalten. Dieses Ziel wird im Nationalen Fachprogramm als „In-Situ-Haltung“ bzw. als „On-farm-Haltung“ ausdrücklich formuliert. In erster Linie müssen hier die Züchter und Züchtervereinigungen ins Boot geholt werden, die sich dem Ziel der genetischen Erhaltung einer Rasse verpflichten. Parallel sollen die ökonomischen Bedingungen für interessierte Züchter gestärkt werden:
Auch von Seite nicht staatlicher Organisationen werden Maßnahmen zur Erhaltung gefährdeter Rassen gefördert. Die GEH hatte 1995 das Projekt der Arche-Höfe aus der Taufe gehoben. 2019 sind im GEH-Verzeichnis mittlerweile 99 Archehöfe gelistet. Erweitert wird die Liste durch Arche-Parks, -Dörfer und -Regionen. Der Begriff „Arche-Hof“ und das Emblem sind patentrechtlich geschützt. Arche-Betriebe haben sich zum Ziel gesetzt, vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen weiter zu züchten, zu nutzen und sie als Vorzeigemodell in ihr Betriebskonzept einzubinden. Auf Arche-Höfen müssen mindestens drei Rassen aus der Roten Liste der GEH und mindestens zwei Tierarten gehalten bzw. gezüchtet werden. Haltung und Fütterung müssen den Vorgaben des ökologischen Landbaus entsprechen. Die Betriebe stellen tierische Erzeugnisse her und vermitteln Besuchern durch Hofführungen und Hof-Aktionen Einblicke in die Geschichte der Nutztierrassen. Eine weitere wichtige Öffentlichkeitsmaßnahme der GEH ist die eingangs bereits erwähnte jährliche Ernennung einer „Gefährdeten Nutztierrasse des Jahres“. Liste der gefährdeten Nutztierrassen des Jahres: 2019 Wollschwein oder Mangalitza 2018 Altwürttemberger Pferd 2017 Drei „eindrucksvolle Entenrasssen“ (Deutsche Pekingente, Orpingtonente, Warzenente) 2016 Regionale Rinderrassen: (Original Braunvieh, Glanrind und Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind) 2015 Deutsches Karakul-Schaf Manchmal führt das öffentliche Interesse am Erhalt einer bedrohten Rasse auch zum Erfolg. Das Bunte Bentheimer Schwein war beispielsweise 1995 noch als gefährdete Nutztierrasse des Jahres ausgezeichnet worden. Es gab in den 1990ern nur noch einen einzigen Zuchtbetrieb des Bunten Bentheimer Schweins mit ca. 100 Zuchttieren. Heute gibt es 165 Sauen und 44 Eber über das gesamte Bundesgebiet verteilt und einen bundesweiten Förderverein zum Erhalt dieser Rasse. Das Bunte Bentheimer konnte sich damit in der Roten Liste um eine Kategorie verbessern. Was kann der Verbraucher tun? Der Verbraucher kann auf eine sehr angenehme Art und Weise zum Erhalt bedrohter Rassen beitragen – er kann das Fleisch genießen. In vielen Regionen Deutschlands gibt es Zuchtbetriebe seltener Tierrassen, die von der Nachfrage ihrer Erzeugnisse leben. Beim direkten Kauf von Fleisch aus kleinen Zuchtbetrieben ist allerdings eine ganzheitliche Sichtweise geboten. Viele selbstvermarktende Betriebe verkaufen ihre Schlachttiere nur in der Größenordnung von Schweinehälften oder Rindervierteln. Geflügel gibt es oft nur im Ganzen samt Innereien. Großvieh wird oft erst dann geschlachtet und verkauft, wenn sich eine Käufergemeinschaft gefunden hat. Solche Einkaufsbeteiligungen werden auch übers Internet angeboten. Teile vom Bug, Bauchlappen, Beinscheiben, Schwänze, Innereien, Rindermarkknochen, Schweinebäckchen, Geflügelhälse … – all diese Körperpartien sind inbegriffen und wollen zubereitet werden. Regionale Kochbücher bieten vielfältige Anregungen wie Pfälzer Saumagen, Saure Nierchen, Gebratene Leber Berliner Art, Schweinerippchen, Ochsenschwanzsuppe, Fleischsülzen oder Eintopfgerichte mit Fleisch-Einlage und viele andere schmackhafte, traditionelle Hausmannskostrezepte. Das Fleisch vieler alter Nutztierrassen ist oft mit Fettäderchen durchzogen (marmoriert) und die Steaks haben meist einen etwas dickeren Fettrand. Dies erhöht den Genusswert des Fleisches, denn Fett ist zugleich auch Geschmacksträger und verhindert, dass ein Kurzbratstück beim Braten trocken wird. Empfehlenswert ist, fettarme Garmethoden zu wählen wie Grillen, Braten in beschichteten Pfannen oder Kochen von Suppenfleisch. Überschüssiges Fett oder Fettränder kann nach dem Garen entfernt werden. Dadurch lässt sich Bratfett einsparen und das Fleisch bewahrt seine Zartheit. Eine weitere, direkte Möglichkeit des Verbrauchers, die Zucht historischer Rassen zu unterstützen besteht darin, bei der GEH Patenschaften über Tiere zu übernehmen. Auf Wunsch kann man fast bei jeder bedrohten Tierrasse auf der Roten Liste jeweilige Tierpatenschaften eintragen lassen. Zum einen wird dadurch der Tierzüchter direkt finanziell unterstützt, zum anderen hilft man monetär der vielfältigen Aktivität der GEH. Quellen und weiterführende Informationen
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